DECHEMA-Preis der Max-Buchner-Forschungsstiftung 2011

Andreas Hierlemann, Professor und Vorsteher des Departements Biosysteme der ETH Zürich in Basel, hat schon immer im Grenzbereich verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen geforscht. Unlängst ist er für seine interdisziplinäre Forschung mit dem renommierten Dechema-Forschungspreis ausgezeichnet worden.

Er ist ein Grenzgänger zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen und findet seine Herausforderungen mit Vorliebe dort, wo sich die Fachgebiete berühren. Andreas Hierlemann, Professor für Biosystems Engineering, führt eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe und – als Vorsteher des Departements Biosysteme (D-BSSE) der ETH Zürich in Basel – ein Departement, an dem Interdisziplinarität grossgeschrieben wird und die Basis für die gesamte Forschungstätigkeit ist.

Prof. Andreas Hierlemann (rechts) anlässlich der Preisverleihung. (Bild: Jose Poblete / Dechema)

Prof. Andreas Hierlemann (rechts) anlässlich der Preisverleihung. (Bild: Jose Poblete / Dechema)

Für seine Arbeiten an den Schnittstellen von Mikroelektronik, Chemie und Biologie ist Prof. Hierlemann vor wenigen Wochen mit dem renommierten deutschen Dechema-Preis der Max-Buchner Forschungsstiftung ausgezeichnet worden. Der Preis ist mit 20‘000 Euro dotiert und wird jährlich von der deutschen Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (Dechema) vergeben.

Ein echtes Kopplungsstück
Sinnbild für Hierlemanns interdisziplinäre Forschung sind die von ihm entwickelten Computerchips, mit denen die elektrischen Signale von biologischen Zellen in Zellkultur gemessen werden können. So gross wie ein Einfrankenstück ist die Zellkulturschale, die auf einer Elektronikleiterplatte befestigt ist. An deren Rand sind Anschlüsse für eine Computerverbindung sichtbar, und in der Mitte der Schale befindet sich ein 2 mal 2 Millimeter grosses Sensorfeld mit – für das blosse Auge unsichtbar – 11‘000 honigwabenartig angeordneten Elektroden.

Forscher können in dieser Schale Zellen wachsen lassen, die elektrische Signale erzeugen, etwa Nervenzellen, und deren Signale messen. Von den 11‘000 Elektroden können sie 126 gleichzeitig ansteuern und somit bis zu126 Zellen abhorchen. Zudem ist es mit dem Chip möglich, eine einzelne Zelle mit einem elektrischen Puls anzuregen, und die durch den Puls hervorgerufenen Nervenzellenaktivität zu messen. Der Chip ist somit ein Interface, ein in beide Richtungen übertragendes Kopplungsstück zwischen belebter und digitaler Welt. Entwickelt worden ist er in enger Zusammenarbeit unter anderem von Elektroingenieuren, Mikrotechnologen und Zellbiologen.

Alles aus einer Hand
«Es ist ein grosser Vorteil des D-BSSE, dass diese interdisziplinäre Zusammenarbeit hier sehr einfach möglich ist», sagt Andreas Hierlemann. «Unter den Forschungsgruppen, die mit solchen Chips arbeiten, sind wir weltweit wahrscheinlich die einzigen, bei denen die ganze Bandbreite der Arbeiten, vom Elektronikdesign bis zu den biologischen Experimenten, in derselben Arbeitsgruppe gemacht wird.» Damit hätten sie sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn der Forscher, der die Elektronik des Chips entwickelt habe, direkt neben dem Biologen sitze, der damit Experimente durchführe, sei es sehr viel einfacher, den Chip laufend weiterzuentwickeln.

Die Entwicklung des Chips begann vor rund zehn Jahren. Mittlerweile kommt dieser auch an anderen Hochschulen und in der Industrie zum Einsatz. Eine Forschungsgruppe an der Universität Lyon nutzt den Chip beispielsweise zur Erforschung von Zahnschmerz, und die Pharmafirma Roche untersucht damit die Grundlagen von Gehirnerkrankungen, wie etwa der Schizophrenie.

Sehr hohe Auflösung
Forscher legen dazu Dünnschnitte des Gehirns von gesunden und kranken Ratten auf den Chip und können so quasi bildlich festhalten, wie sich die Ausbreitung elektrischer Signale im Gehirn gesunder und kranker Ratten unterscheidet. Auch können sie untersuchen, ob sich die Signalausbreitung in einem kranken Gehirn mit pharmakologischen Mitteln derjenigen von einem gesunden Gehirn angleichen lässt. Den Forschern steht so ein bildgebendes Verfahren zur Verfügung mit einer extrem hohen Zeit- und Ortsauflösung bis hin zu Komponenten einzelner Zellen.

In der Grundlagenforschung und beim Testen pharmakologischer Wirkstoffkandidaten sieht Hierlemann das Hauptanwendungsgebiet für seinen Chip. Derzeit stehen dabei Zusammenarbeiten mit Forschungspartnern im Vordergrund. Um den Chip zu kommerzialisieren, sei es noch zu früh, sagt der ETH-Professor. Er und seine Mitarbeiter sind derzeit daran, den Chip zu verbessern. Konkret soll die Messfläche und die Zahl der Elektroden verdoppelt werden, und es soll künftig möglich sein, 1000 anstatt nur 126 Elektroden gleichzeitig auszulesen.

Interdisziplinärer Werdegang
Nicht nur Hierlemanns Forschungsarbeit ist von Interdisziplinarität geprägt. Diese zieht sich auch wie ein roter Faden durch seinen akademischen Werdegang. Er studierte Chemie, fühlte sich aber von Anfang an zur physikalischen Chemie hingezogen, dem Grenzbereich von Chemie und Physik. In Forschungsaufenthalten in den USA kam die Mikrosensorik zu seinem Tätigkeitsgebiet hinzu. Hierlemann entwickelte Mikrosensorsysteme, mit denen chemische Stoffe in der Gasphase gemessen werden können. Er interessierte sich dabei immer stärker für die technologische Seite solcher Sensoren. Und seit er an der ETH Zürich tätig ist, verlagerte er seinen Fokus allmählich von chemischen Systemen hin zur Biologie und zu lebenden Zellen. Dass seine Arbeit nun mit dem Dechema-Preis ausgezeichnet worden sei, sei für ihn eine grosse Anerkennung, sagt er.

Der Artikel ist erschienen bei ETH Life von Fabio Bergamin.

DECHEMA-Preis der Max-Buchner-Forschungsstiftung
Dieser Preis wird vergeben für herausragende Forschungsarbeiten, die die Technische Chemie, die Verfahrenstechnik, die Biotechnologie und das Chemische Apparatewesen betreffen. Dabei werden besonders Arbeiten jüngerer Forscher berücksichtigt, die von grundsätzlicher Bedeutung sind und eine enge Verflechtung von Forschung und praktischer Anwendung zeigen